Das erste digitale Semester der Hochschulgeschichte hat begonnen. Auf der Suche nach ersten Reaktionen der Studierenden zeigt sich ein ernüchterndes, für mich jedoch wenig überraschendes Bild.
Vorlesungen werden aufgezeichnet und den Studierenden auf einer Online-Plattform zur Verfügung gestellt. Am Ende tauchen zwei bis drei Fragen zur Lernzielüberprüfung oder Reflexion auf und fertig ist eine Veranstaltungseinheit, die die Studierenden innerhalb einer Woche durcharbeiten dürfen. In der folgenden Woche schließt sich das nächste Thema an – ein asynchrones Lehrangebot, mit dem Lehrenden als Wissensvermittler innerhalb eines klassischen Frontalunterrichts, ohne jegliche Interaktion und Kollaboration seitens der Studierenden.
Seminare, die sich in der bisherigen Präsenzlehre häufig durch abwechslungsreiche Lehr-Lernarrangements, eine Vielfalt an Methoden zur Aktivierung, Interaktion, Kommunikation und Diskussion ausgezeichnet haben, entwickeln sich zu trostlosen Kursen mit etappenweiser Weiterbildung durch individuelles Literaturstudium. Studierende bekommen über eine Online-Plattform Aufgaben, die sie eigenständig bearbeiten, hochladen und anschließend Feedback erhalten. Wo bleibt hier der kritische Austausch, das Formulieren einer eigenen Meinung, die Entwicklung neuer Forschungsperspektiven oder der Transfer von Theorie- in Handlungswissen?
Es wäre ein Leichtes, diese Auflistung weiterzuführen. Es liegt mir aber fern, Kritik zu äußern, ohne eigene Vorschläge zu formulieren. Daher biete ich folgende fünf Gedanken bzw. Handlungsempfehlungen an:
- Meine Kolleginnen Ulrike Hanke und Nina Bach haben eine tolle Checkliste zum Thema Virtuelle Präsenz-Lehre erstellt: https://hochschuldidaktik-online.de/wp-content/uploads/2020/03/Checkliste_VirtuellePraesenzlehre.pdf Potenzielle Fallstricke werden ebenso thematisiert wie konkrete Gestaltungsmöglichkeiten.
- Bei der Planung künftiger Lehrveranstaltungen ist es wichtig, den Studierenden ausreichend Platz zum freien, selbstbestimmten Lernen zu geben. Sofern es die Rahmenbedingungen zu lassen und eine grundsätzliche Studierfähigkeit gewährleistet werden kann, sollten Studierende die zu bewältigenden Aufgaben freier und somit individualisierter bearbeiten dürfen. Die Gestaltung des eigenen Tagesablaufes, die Vereinbarkeit privater und studienrelevanter Tätigkeiten sollte nicht zu eng an einen Seminarplan geknüpft werden.
- Lehrende, die in Studiengängen unterrichten, die sich durch eine Vielzahl interaktiver Lehr-Lernformate auszeichnen, sollten intensiv überlegen, wie sie den gegenseitigen Austausch der Studierenden, das kontroverse Diskutieren anhand der einschlägigen (Forschungs-) Literatur oder das kollaborative Arbeiten an einer Expertise forcieren können, um die Studierenden aktiv einzubeziehen.
- Der richtige Mix von synchronen und asynchronen Lehr-Lernangeboten ist für den Erfolg der Veranstaltung wichtig. Ausgehend vom didaktischen Konzept des Constructive Alignment bringe ich bei der Planung meiner Lehrveranstaltung die Lehr-Lernmethoden mit den Lernzielen sowie den Prüfungsmethoden zusammen. In Zeiten der digitalen Lehre muss der Teilnehmerzahl, den technischen Voraussetzungen der Hochschule sowie meinen Digitalkompetenzen besondere Bedeutung beigemessen werden.
- An zahlreichen deutschen Universitäten wird der Ruf nach sogenannten Instructional designer (https://www.che.de/download/duz-spotlight-instructional-designer/) immer größer. Gesucht werden Projektmanager, die an der Schnittstelle von Technik und Pädagogik agieren und Lehrende bei der Entwicklung ihrer Lehr-Lernformate beraten. Digitale Lehre bietet vielfältige Möglichkeiten – es kann aber nicht sein, dass sich die Lehrenden alles eigenständig erarbeiten müssen.