Eine der zentralen Aufgaben der Jugendphase liegt für die Heranwachsenden in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anforderungen und der daraus resultierenden individuellen Bewältigung ebendieser (Harring et al., 2015). Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Literatur zeigen sich höchst uneinheitliche Definitionen des Begriffs Jugend. Dies ist zum einen den verschiedenen Forschungsrichtungen und dem spezifischen Erkenntnisinteresse geschuldet, zum anderen spielen aber auch gesellschaftliche Veränderungen im Sinne des Zeitwandels eine bedeutsame Rolle. Vielen jugendtheoretischen Zugängen liegt die Annahme zugrunde, dass Jugend als sozialer Status innerhalb einer Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter verstanden wird.
Das Verständnis von Jugend in der Moderne wurde maßgeblich durch die Arbeiten von Erikson (1968), Zinnecker (1991) sowie Reinders (2006) geprägt. Den Jugendlichen wird zur Bewältigung ihrer Aufgaben eine Karenzzeit zugestanden, in der sie Verhaltensweisen erproben können. Aus gesellschaftlicher Sicht ist die Institutionalisierung der Jugendphase relevant, dadurch geraten die Lebens- und Alltagswelten der Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen in den Fokus. Kritik an den Vorstellungen von Jugend als Moratorium und Transition wird insbesondere durch individualisierungstheoretische Ansätze (z.B. Beck, 1986) angeführt.
Die Dynamisierung in Technik, im Sozialen sowie in privaten Lebensformen (Rosa, 2013) führt zu einer Optionsvielfalt und Differenzierung. Jugendliche können sich von Traditionen lösen, was bedeutet, dass ihnen die Freiheit gewährt wird, ihre Lebensumstände eigenverantwortlich gestalten zu können, ihnen gleichzeitig jedoch der Zwang obliegt, Entscheidungen zu treffen. Die Verlängerung der Schulpflicht in der Spätmoderne bildet eine institutionelle Jugendzeit heraus und bietet den Jugendlichen weniger Freiraum für die Freizeitgestaltung. Eine weitere Folge der Entstrukturierung liegt in den unterschiedlichen Erwartungen der Gesellschaft an die Jugend. Die Übergänge zwischen den Lebensabschnitten verschwimmen, so dass ein lineares, standardisiertes Lebenslaufmodell nicht mehr passt. Zudem lässt sich aufgrund der pluralen und ausdifferenzenzierten Lebensformen nicht mehr von einer allgemeinen Jugend sprechen (Ecarius et al., 2017). Scherr (2018) konstatiert, dass die spätmoderne Jugend nicht mehr als „kollektive Statuspassage einer klar konturierten Altersgruppe“ (S. 25) charakterisiert werden kann.
Mit Blick auf das Sportengagement Jugendlicher ist zu konstatieren, dass es sich um ein vielfach und vor allem facettenreich untersuchtes Forschungsgebiet handelt. Abhängig von der jeweiligen Konzeptualisierung wird Jugendsport als Sozialisationskontext, Entwicklungsressource oder gar als Lebensgefühl verstanden (Bindel, 2013). Im Forschungsinteresse stehen bis dato vor allem die Settings Schule und Verein, was nicht zuletzt mit der Fokussierung auf die Wirksamkeit des Sporttreibens zu erklären ist. Die Annahme, dass Jugendliche Ressourcen innerhalb eines gezielten und angeleiteten Sportangebots durch Erwachsene gewinnen und entwickeln können, richtet zwangsläufig den Blick auf diese beiden Settings (Kurz & Tietjens, 2000).
Obgleich Sporttreiben im Jugendalter häufig positiv konnotiert ist, erreicht der Sport nicht alle Jugendlichen gleichermaßen und über die Phase des Aufwachsens hinweg. Das Fluktuationsverhalten der Heranwachsenden im Sportverein kann als Indikator für eine Abwendung vom Vereinssport, möglicherweise aber auch als Absage an die Sportart oder die Akteure (Trainer und Athleten) interpretiert werden (Gerlach & Brettschneider, 2013). Eine Abkehr vom Vereinssport ist jedoch nicht zwangsläufig mit einer Bewegungsinaktivität gleichzusetzen. Hinsichtlich der Freizeitgestaltung wird beispielsweise dem informellen Sportengagement von Jugendlichen eine hohe Bedeutung beigemessen (Bindel et al., 2010). Informelle Sportpraktiken können als Sport von Jugendlichen verstanden werden, in denen entwicklungsfördernde Interaktionen und Aushandlungsprozesse zwischen den Heranwachsenden ablaufen.
Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten zur Förderung jugendlicher Sportpraktiken finden sich in folgendem Beitrag: SP (ORT) ENTWICKLUNG – Ermöglichungsräume für Sport.
Literaturverzeichnis
Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bindel, T. (2013). „Richtiger“ Sport (?) – Ergebnisse einer qualitativen Längsschnittstudie zum jugendlichen Sportengagement. Zeitschrift für sportpädagogische Forschung 1(1), 79-98.
Bindel, T., Balz, E. & Frohn, J. (2010). Zur symbiotischen Handlungsstruktur informellen Sportengagements. Sportwissenschaft, 40(4). 254-261.
Ecarius, J., Berg, A., Serry, K. & Oliveras, R. (2017). Spätmoderne Jugend – Erziehung des Beratens – Wohlbefinden. Wiesbaden: Springer VS.
Erikson, E. H. (1968). Identity, Youth and Crisis. New York: Norton.
Gerlach, E. & Brettschneider, W.-D. (2013). Aufwachsen mit Sport. Aachen: Meyer & Meyer.
Harring, M., Witte M. D. & Wrulich, A. (2015). Lebenslagen Jugendlicher in Deutschland. Aufwachsen unter Bedingungen von Pluralität und Entgrenzung. In J. Fischer & R. Luitz (Hrsg.), Jugend im Blick. Gesellschaftliche Konstruktion und pädagogische Zugänge. (S. 12-31). Weinheim und Basel: Juventa.
Kurz, D. & Tietjens, M. (2000). Das Sport- und Vereinsengagement der Jugendlichen – Ergebnisse einer repräsentativen Studie in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Sportwissenschaft, 30(4), 384-407.
Reinders, H. (2006). Jugendtypen zwischen Bildung und Freizeit. Münster: Waxmann.
Rosa, H. (2013). Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit. Berlin: Suhrkamp.
Scherr, A. (2018). Jugend als gesellschaftliche Institution und Lebensphase. In B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität (S. 17-33). Wiesbaden: Springer VS.
Zinnecker, J. (1991). Jugend als Bildungsmoratorium. Zur Theorie des Wandels der Jugendphase in west- und osteuropäischen Gesellschaften. In W. Melzer, W. Heitmeyer, L. Liegle & J. Zinnecker (Hrsg.), Osteuropäische Jugend im Wandel. Ergebnisse vergleichender Jugendforschung in der Sowjetunion, Polen, Ungarn und der ehemaligen DDR (S. 9-25). Weinheim und München: Juventa.